Daniel Kahn fusioniert Klezmer und Rock

Der Görlitzer Park ist einer der Lieblingsorte von Daniel Kahn in Berlin. Der Rockmusiker aus der US-Metropole Detroit hat einen wunderbaren Song darüber geschrieben, zugleich Liebeslied an seine Freundin und subtile Hymne an die Wahlheimat. Berlins bewegte Geschichte schwingt mit in den deutsch-englischen Textzeilen: Kahn besingt die Ruinen im Park, das Sowjetische Ehrenmal im benachbarten Stadtteil Treptow und den Bahnhof Grunewald, von dem Juden in die NS-Vernichtungslager deportiert wurden. Ganz große Songwriter-Kunst auf den Spuren eines Leonard Cohen oder Tom Waits.

Was manchen überraschen mag: Der (nach eigener Einschätzung überhaupt nicht religiöse) jüdische Amerikaner Kahn hat bei allem historischen Bewusstsein ein entspanntes Verhältnis zur einstigen Hauptstadt des Nazi-Reichs. «Berlins Geschichte ist interessant, und sie berührt mich. Aber sie ist nicht der Grund, hier zu sein», betont er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Ich lebe gern hier, weil's in Berlin so schön und so spannend ist.» Der 32-Jährige wohnt mitten im Multikulti-Viertel Neukölln und genießt es.

Daniel Kahn lässt keinen Zweifel daran, dass er sich nicht auf ein politisch geprägtes Judentum oder gar auf die Rolle eines Mahners im Namen der NS-Opfer reduzieren lässt. Das hat er auch gar nicht nötig. Seit der Übersiedelung nach Berlin vor sechs Jahren fusionierte Kahn auf drei Alben und in vielen Konzerten melodische Klezmer-Bläser mit rauem Gitarren-Folk, Balkan-Pop und polterndem Rock. Sein Repertoire umfasst melancholische Balladen («Sunday After The War») ebenso wie Traditionelles von persönlichen Helden wie Brecht/Weill oder Tucholsky. Auch Uralt-Protestsongs wie den jiddischen «Arbetslozer Marsh» hat Kahn im Programm, «denn Lieder sind doch die besten Werkzeuge, die wir haben für Ideen und Geschichten».

Immer wieder gräbt der Multi-Instrumentalist fast vergessenes Liedgut von Komponisten wie Mordechai Gebirtig (1877-1942) und Mark Warshavsky (1870-1907) aus. Oder er nimmt sich «Lili Marleen» vor, den grenzüberschreitenden Soldatenschlager des Zweiten Weltkriegs, dessen erste Zeilen bei ihm auf Jiddisch dann ganz anders klingen: «Far der Kazarme/far der groyser tir...». So reklamiert Kahn das historisch vorbelastete Lied für sich, alles Verstaubte fällt davon in seiner Version «Lili Marleyn, Fartaytsht» ab. Diese Methode bezeichnet er als «Tradaptation».

Manchmal fühlt sich Kahn jedoch leicht unwohl bei seinen deftigen Liedern. Etwa wenn er im Song «Six Million Germans» (Sechs Millionen Deutsche) die wahre Geschichte des Abba Kovner erzählt, der nach dem Holocaust Auge um Auge ebenso viele Deutsche umbringen wollte - und zur eigenen Erleichterung scheiterte. «Für mich war das eine Rache-Moritat, eine Provokation, irgendwie lustig, ironisch», erklärt der Songwriter. «Aber eigentlich ist damit nichts zu gewinnen.» Kahn überlegt noch, ob er das in Fan-Kreisen sehr populäre Mitgröhl-Stück bei seiner aktuellen Tournee überhaupt spielen soll.

Die Konzerte von Daniel Kahn & The Painted Bird in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Tournee-Start: 20. Januar) sollen wieder ein großer Spaß für die sechsköpfige Band und ihr stetig wachsendes Publikum werden. Wenn Kahn mit Megafon und Quetschkommode, am Piano oder an der Gitarre seine temperament- und gefühlvolle Musik vorantreibt, ist das eine tolle Show jenseits aller politischen Erwägungen. «Vor allem anderen bin ich nicht Jude oder Linker, sondern Entertainer. Das heißt, ich will die Menschen unterhalten», sagt der 32-Jährige. Dieser Auftrag ist ihm der wichtigste.